Fortschritt mit Lücken
Ein Jahr nach Inkrafttreten des Selbstbestimmungsgesetzes (SBGG) zeigt sich: Viele Menschen haben lange auf diesen Schritt gewartet. Seit dem 1. November 2024 wurden über 22.000 Vornamens- und Personenstandsänderungen gemeldet. Trans*, inter* und nicht-binäre Personen können ihr Geschlecht nun selbst bestimmen, ohne medizinische Gutachten oder Gerichtsbeschlüsse. Das Gesetz beendet eine zentrale Ungleichbehandlung, die über Jahrzehnte bestand.
Die Rolle der dgti
Die dgti e. V. hat mehr als zwanzig Jahre auf dieses Ziel hingearbeitet. Schon im Jahr 2000 legte sie einen ersten Community-Entwurf für ein neues Gesetz vor. 2012 folgte ein bundesweites Positionspapier, das viele Inhalte des heutigen SBGG vorwegnahm. 2017 startete die dgti eine Unterschriftenaktion, aus der eine Bundesratsinitiative entstand. Während des Gesetzgebungsverfahrens gab sie Stellungnahmen ab und führte Gespräche mit Entscheidungsträger*innen. Der 1. November 2024 war deshalb ein wichtiger Tag für viele Menschen, die sich seit Jahren für geschlechtliche Selbstbestimmung einsetzen.
Was sich verbessert hat
- Selbstbestimmung statt Gutachten: Das SBGG ersetzt das alte Transsexuellengesetz. Menschen entscheiden nun selbst über ihr Geschlecht.
- Attestfreiheit für inter* Personen: Medizinische Nachweise sind nicht mehr nötig.
- Stärkeres Offenbarungsverbot: Alte Vornamen müssen in Eheurkunden nicht mehr genannt werden. Verstöße können geahndet werden.
- Einheitliches Verfahren beim Standesamt: Änderungen werden verwaltungsrechtlich und nicht mehr gerichtlich vorgenommen.
Diese Änderungen geben den Betroffenen mehr Kontrolle über ihre Daten und Anerkennung im Alltag.
Was noch überdacht werden sollte
- Elternschaft: Das Gesetz erkennt trans* Eltern weiter nach biologischen Kriterien an. Die soziale Elternrolle bleibt unberücksichtigt. Eine kurze sprachliche Anpassung im Bürgerlichen Gesetzbuch könnte das ändern. Die angekündigte Reform des Abstammungsrechts steht aus.
- Jugendliche: Jugendliche über 14 Jahre brauchen die Zustimmung der Sorgeberechtigten.
- Geflüchtete: Für geflüchtete trans* Personen gilt die Änderung bei drohender Abschiebung nicht. Diese Einschränkungen widersprechen dem Gedanken der Selbstbestimmung.
- Anmeldefrist: Drei Monate Wartezeit zwischen Antrag und Änderung erschweren den Zugang zum Verfahren. Besonders inter* Personen werden dadurch benachteiligt, da die bisherige Möglichkeit der Änderungen nach § 45b Personenstandsgesetz keine Wartefristen beinhaltete.
- Melderegister: Ein absolutes „Nein“ zu dieser Idee von unser Seite, dass alte Geschlechtseinträge sichtbar bleiben. Das birgt die Gefahr von Zwangs-Outings und unterläuft den Schutzgedanken des Gesetzes.
Diese Punkte zeigen, dass echte Selbstbestimmung rechtlich noch nicht vollständig erreicht ist.
Gesellschaftliche Wirkung
Das Gesetz war ein wichtiger Schritt. Doch rechtliche Gleichstellung bedeutet keine gesellschaftliche Akzeptanz. Die dgti-Studie „TIN*klusiv im Office?!“ aus dem Jahr 2024 zeigt: Mehr als die Hälfte der trans*, inter* und nicht-binären Beschäftigten verbergen ihre Identität am Arbeitsplatz. 87 Prozent berichten von Diskriminierung. Die Zahlen belegen, dass Selbstbestimmung nur funktioniert, wenn Verwaltung, Unternehmen und Gesellschaft sie respektieren.
Solange Benachteiligungen im Arbeitsrecht, in Behörden oder im sozialen Umfeld bestehen, bleibt Gleichstellung unvollständig. Recht allein reicht nicht. Akzeptanz entsteht erst, wenn Gesetze gelebt werden.
Forderungen der dgti
- Reform des Abstammungsrechts zur rechtlichen Anerkennung von trans* Eltern.
- Wegfall der Anmeldefrist und eigenständige Entscheidungsmöglichkeit ab 14 Jahren.
- Schutz sensibler Daten in allen Registern und Dokumenten.
- Klarstellung zur Gültigkeit des Gesetzes für geflüchtete Personen.
- Schulungen in Verwaltung, Justiz und Medizin, um die Umsetzung des SBGG sicherzustellen.
Die dgti e.V. wird weiter daran arbeiten, diese Änderungen politisch und fachlich voranzubringen.
Was du tun kannst: Hilfe finden und das System verändern
Du suchst Beratung oder möchtest dich austauschen? Die ehrenamtlichen Berater*innen der dgti verstehen deine Situation. Hier findest du Unterstützung in der Peer-Beratung.
Die dgti e. V. arbeitet ehrenamtlich und unabhängig für die Rechte von trans*, inter* und nicht-binären Personen.
Wenn du unsere Arbeit stärken möchtest, gibt es zwei einfache Wege:
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