Nachruf zum Tode von Lynn Conway

Lynn Conway (2006), Photo by Charles Rogers
Lynn Conway 2006, Photo by Charles Rodgers

Lynn Conway ist im Alter von 86 Jahren am 9.6.2024 von uns gegangen. Sie war eine mehrfach ausgezeichnete Pionierin der Programmierung und Computerelektronik, Ehrenmitglied mehrerer wissenschaftlicher und industrieller Vereinigungen und eine Frau, die erfolgreich geholfen hat, gegen transgeschlechtliche Menschen gerichtete Diskriminierungen zu überwinden.

Lynn Conway – Pionierin der Elektronik

Nachdem Prof. emerita Lynn Ann Conway schon für einige bahnbrechende Entwicklungen im Bereich der Programmierung wie „generalised dynamic instruction handling“ verantwortlich war, und damit ihrem damaligen Arbeitgeber IBM nach dessen eigener Aussage zum Erfolg verholfen hatte, warf dieser Lynn 1968 kurzer Hand raus, nachdem Sie sich gegenüber ihren Vorgesetzten geoutet hatte. Sie passe nicht in die Unternehmenskultur hieß es damals.

IBM brauchte 52 Jahre, um sich für diese grandiose Fehlentscheidung und Diskriminierung zu entschuldigen. Sie nutzte die Gelegenheit um ihre Transition medizinisch abzuschließen und neu anzufangen, allerdings zu einem hohen Preis. Ihre beiden Kinder durfte sie nicht mehr sehen und ihr neuer Arbeitgeber Xerox sollte von ihrer Vergangenheit möglichst nichts wissen. Daher musste sie ganz unten auf der Karriereleiter starten was sie Dank ihrer Begabung jedoch nicht aufhalten konnte.

Vor allem die sogenannte VLSI Technik (Very Large Scale Integration) und die dafür notwendige programmierbare Gestaltung von integrierten elektronischen Schaltungen sind ihr Verdienst. Bis dahin wurden elektronische Schaltungen mehr oder weniger von Hand entworfen, was in Anbetracht der kaum mehr zählbaren Einzelbausteine heute unmöglich ist.

Ohne ihren Beitrag würde die Technik eines Smartphones immer noch Schränke füllen und die Raumfahrt, zu deren Abläufen Computer und intensive Berechnungen nötig sind, hätte sich deutlich langsamer entwickelt.

Die Anerkennungen der Wissenschaft, Akademien und Vereinigungen wie der IEEE kamen spät, aber dafür um so zahlreicher. Seit 1985 war sie Fellow der IEEE und 2023 wurde sie in die National Inventors Hall of Fame der USA aufgenommen.

Lynn Conway – engagierte Kämpferin für Chancengleichheit

Lynn ist für uns alle ein Vorbild. Nach ihre Transition 1968 startete Sie ihre Karriere bei Xerox neu, ganz von unten, zunächst im „Stealth Mode“. Aus Angst ein erneutes Outing könnte ihre Karriere wieder zerstören, wartete sie damit bis 1998 als sie als Professorin an der University of Michigan erimitiert wurde.

Die Umstände ihres Rauswurfs bei IBM haben im nachhinein nicht nur bei IBM sondern auch bei vielen anderen Unternehmen ein Umdenken eingeläutet. Das konnte jedoch nur passieren, weil Lynn Conway ab 1999 intensive Öffentlichkeitsarbeit betrieben hat und mit ihrer mehrsprachigen Website schon sehr früh ein umfangreiches Informationspaket zusammengestellt hat, zu einer Zeit, zu der es noch kaum andere Angebote dieser Art gab. Ihre gesammelten Quellen und Informationen sind für die Geschichte und das Empowerment transgeschlechtlicher Personen von enormen Wert und werden vielfach in der Fachliteratur und auch bei uns zitiert. Bei der von Lynn so gewünschten Übersetzung ins Deutsche ihrer Website konnten Jane Thomas, Mitglied der dgti e.V. und Beate Ritzert unterstützen.

Nach ihrem Outing wurde Lynn Conway zu einer äußerst engagierten Kämpferin gegen Konversions“therapie“ oder auch „reperative Therapie“ und gehörte zu den frühen Kritikerinnen des Psychiaters Kenneth Zucker, dessen Klinik 2017 aufgelöst wurde. Sie warf ihm vor, mit gefälschten Zahlen zu arbeiten, etwa das 80% aller trans* Jugendlichen später nicht mehr trans* wären. Mit diesen verfälschten Angaben wird gerade jetzt wieder trans* feindliche Politik begründet. Auch gegen Ray Blanchard und dessen Theorie der „Autogynophilie“ ging sie vor.

Bei vielen Gelegenheiten konnte Sie ihre Bekanntheit in der Fachwelt nutzen und sich für Chancengleichheit von trans* Personen in Unternehmen der High Tech Branche einsetzen. Viele davon wurden zu Vorreitern und gehören heute zu den wichtigsten Unterstützern.

2009 wurde Lynn Conway zu einer der 40 Stonewall Heroes gekürt.

Gedenken

Lynn starb im Beisein ihres Ehemannes Charles Rogers an den Folgen eines Herzinfarkts. Wir wünschen ihm viel Kraft.

Menschen wie Lynn Conway dürfen nicht vergessen werden. Sie sind uns Ansporn und Gewissheit, dass Veränderung zum Guten möglich ist.

#LynnConway #Stonewallheroine

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