Zwischen Genen, Hormonen und Gesellschaft: Ist Transidentität biologisch bedingt?

„Ich wusste es schon als Kind.“ Diese Aussage hören Beratende bei der dgti häufig, wenn trans* Menschen über ihr sprechen. Die Gewissheit, dass das bei der Geburt zugewiesene nicht zum eigenen inneren Erleben passt, ist keine Modeerscheinung – und auch keine bewusste Entscheidung. Doch was sagt die Wissenschaft? Ist angeboren? Und wenn ja, warum?

Die Suche nach biologischen Spuren: Gene und Hormone

In den letzten Jahrzehnten hat die Forschung Fortschritte gemacht, um von Transidentität zu verstehen. Zwillingsstudien wie die von Möller et al. (2009) zeigen: Wenn ein eineiiger Zwilling trans ist, ist die Wahrscheinlichkeit deutlich höher, dass der andere ebenfalls eine Transidentität entwickelt. Bei zweieiigen Zwillingen ist dieser Effekt deutlich geringer. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass genetische Faktoren – wie Varianten im -Gen (AR) oder im Östrogenrezeptor beta (ERβ) – eine Rolle spielen können. Eine Studie von Henningsson et al. (2005) fand Unterschiede im ERβ-Gen bei trans* Personen im Vergleich zu cisgeschlechtlichen Kontrollen. Das Enzym (CYP19A1), das Testosteron in Östrogen umwandelt, könnte ebenfalls entscheidend sein.

Pränatale Einflüsse: Hormone prägen das Gehirn

Die sogenannte organisatorische Hypothese besagt: Sexualhormone wie Testosteron oder Östrogene prägen das Gehirn bereits im Mutterleib. Kommt es in kritischen Entwicklungsphasen zu Abweichungen – etwa durch genetische Empfindlichkeit oder hormonelle Schwankungen – kann das dazu führen, dass die nicht mit dem körperlichen Geschlecht übereinstimmt. Studien wie die vom Max-Planck-Institut München zeigten, dass das Verhältnis von Zeige- zu Ringfinger bei trans Frauen eher cis Frauen entspricht – ein Hinweis auf hormonelle Einflüsse vor der Geburt.

Das Gehirn spricht mit: Neurowissenschaftliche Erkenntnisse

Neurowissenschaftliche Studien stützen die Hypothese einer biologischen Basis. Unterschiede in der Größe des Nucleus BSTc – einer Region im Gehirn – sowie im Volumen der weißen Substanz und der Kortexdicke deuten darauf hin, dass das Gehirn vieler trans* Menschen eher ihrem empfundenen Geschlecht als dem bei Geburt zugewiesenen entspricht. fMRT-Studien zeigen zudem, dass die Gehirnaktivität von trans Jugendlichen häufig der ihres empfundenen Geschlechts ähnelt – schon vor der Hormontherapie.

Mythen und Fakten: Transidentität ist keine „Phase“

Ein weitverbreiteter Irrglaube besagt, Transidentität sei eine Mode oder psychische Störung. Doch die WHO hat 2019 Transidentität aus der Liste psychischer Krankheiten gestrichen – ein bedeutender Schritt zur Entstigmatisierung. Zudem berichten viele trans* Personen, dass sie schon als Kinder spürten, „anders“ zu sein. Die Forschung spricht also klar gegen die Idee, dass Transidentität „erzogen“ oder eine „Phase“ sei.

Nature or Nurture: Sind Gene, Hormone oder die Gesellschaft ursächlich?

Die Rolle der Gesellschaft: Akzeptanz macht den Unterschied

Während Biologie die Grundlage legt, bestimmt das soziale Umfeld, wie und wann Menschen ihre Identität leben. Gesellschaftliche Akzeptanz und Unterstützung ermöglichen ein früheres und gesünderes Coming-out. Studien zeigen, dass in offeneren Gesellschaften die Zahl der sichtbar lebenden trans* Menschen steigt – nicht, weil es biologisch „mehr“ Transmenschen gäbe, sondern weil weniger Angst vor Diskriminierung besteht.

Kann ein Gentest Transidentität vorhersagen?

Nein. Trotz der genetischen Hinweise ist Transidentität ein vielschichtiges Phänomen. Es gibt kein „Trans-Gen“ und keinen Gentest, der sicher vorhersagen kann, ob jemand trans ist. Zudem werfen solche hypothetischen Tests auf: Wer dürfte entscheiden, ob getestet wird? Könnte das Wissen missbraucht werden? Diese Überlegungen zeigen, dass die Identität eines Menschen nicht durch einen Test bestimmt werden kann – sondern nur durch das eigene Erleben.

Häufige Fragen zu Transidentität und Biologie

Ist Transidentität angeboren oder anerzogen?

Die Forschung deutet klar darauf hin, dass Transidentität angeboren ist. Genetik, pränatale und neurobiologische Faktoren spielen eine entscheidende Rolle.

Warum bin ich trans? Gibt es dafür eine biologische Erklärung?

Ja. Studien zeigen, dass die geschlechtliche Prägung des Gehirns bereits vor der Geburt erfolgt und von biologischen Faktoren beeinflusst wird.

Können Gene erklären, warum ich mich nicht mit meinem Geburtsgeschlecht identifiziere?

Teilweise. Genetische Varianten und hormonelle Einflüsse sind ein Faktor, aber nicht der einzige.

Gibt es einen Test, der zeigt, ob jemand trans ist?

Nein. Die Identität eines Menschen ist individuell und kann nicht durch einen Test bestimmt werden.

Was antwortet man, wenn jemand sagt: „Das ist doch nur eine Phase“?

Die Forschung zeigt, dass Transidentität oft schon im Kindesalter erkennbar ist und meist lebenslang bleibt.

Mehr erfahren, sich engagieren, ein Zeichen setzen

Transidentität ist individuell, komplex – und manchmal schwer allein zu navigieren. Wenn du selbst betroffen bist oder dich für die Rechte von trans*, nicht-binären und inter* Menschen einsetzen möchtest, gibt es viele Wege, aktiv zu werden.

Die e. V. bietet vertrauliche Peer-Beratung an – von trans* und inter* Menschen für trans* und inter* Menschen. Informationen und Unterstützung findest du hier: dgti Peer-Beratung.

Willst du mehr erfahren, dich engagieren oder einfach deine Haltung sichtbar machen? Dann informiere dich über die Lebensrealitäten von trans*, nicht-binären und inter* Menschen. Nutze inklusive Sprache in deinem Alltag und unterstütze Organisationen, die sich für gleiche Rechte stark machen – wie die dgti e. V..

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