Rede von Petra Weitzel, 1. Vorsitzende der dgti e.V. bei der Kundgebung zum Transgender Day of Remembrance am 20. November 2022 in Frankfurt
Heute am Transgender Tag der Erinnerung gedenken wir den transidenten und transsexuellen Opfern von Gewalt jeder Art.
Wir möchten auch an jene erinnern, die aus Verzweiflung über verweigerte soziale und medizinische Unterstützung ihr Leben beendet haben.
Wir ehren alle aus unserer Gemeinschaft, die wir im letzten Jahr verloren haben.
Vor 24 Jahren wurde der Transgender Day of Remembrance das erste Mal abgehalten. Im November 1998 wurde in den USA die afro-amerikanische trans* Frau Rita Hester ermordet. Am darauf folgenden Freitag versammelten sich über 250 Menschen, um ihrer Trauer und Wut über diesen Mord Ausdruck zu geben. Seitdem findet der Transgender Day of Remembrance jährlich am 20. November statt.
Von 2008 bis Ende September 2022 wurden weltweit 4367 trans* Menschen ermordet. Dies sind nur die statistisch erfassten Fälle, wo niemand zählen darf wird auch niemand erfasst.
Vom 1. Oktober 2021 bis 30. September 2022 wurden 327 ermordete Menschen gezählt.
95% aller ermordeten waren Frauen, 65% Angehörige rassifizierter Gruppen und 35% aller in Europa ermordeten Menschen hatten einen Migrationshintergrund.
Viele trans* Personen werden im Lebensverlauf Opfer von Gewalt, von Gewalt nicht nur durch einzelne Menschen, sondern auch durch staatliche Gewalt und Willkür.
Noch im September 2022, nur wenige Wochen vor Beginn der WM wurde eine trans* Frau in Katar in einem Wagen der Polizei brutal geschlagen.
Im Iran wurde am 15.9.2022 die trans* Person Zahra Sedighi-Hamadami und die Aktivistin Elham Choubdar wegen „Verdorbenheit auf Erden“ verurteilt. Ich fordere Euch dazu auf, den Botschaften dieser Länder und der FIFA Eure Meinung dazu zu sagen.
Von Regierungen und staatlichen Stellen geduldete oder sogar geförderter Hass und Kriminalisierung wie in den USA haben zu Tod und Gewalt beigetragen. Die USA und Brasilien unter gehören zu den Staaten mit den meisten Toten.
In Deutschland werden Opfer Trans* feindlicher Gewalt zu selten und unter falschem Label erfasst.
Da wo es darauf ankommt, im Grundgesetz, im AGG, und bei Hasskriminalität, werden Diskriminierung und Gewalt gegen trans* Personen unter Geschlecht oder sexueller Identität eingeordnet und die Opfer damit ein zweites Mal statistisch beerdigt. Wieviel Prozent machen trans Frauen wohl unter allen Frauen aus? Wieviel Prozent der trans* Personen wurden jedoch schon bedroht oder geschlagen? Wie kleingerechnet ist der Anteil von trans* Personen unter Lesben und Schwulen?
Als Opfer werden wir mehrfach verhöhnt. Von Brandstifter*innen und Täter*innen und dann von Teilen der Gesellschaft, die immer noch glaubt, trans* hätte etwas mit Sexualität statt mit dem Geschlecht zu tun. Welches Opfer so einer Straftat hat noch so viel Kraft bei einer Strafanzeige mit den Behörden zu diskutieren ?
Neulich konnten wir in einem Gerichtsurteil aus Deutschland lesen, dass die Grenzen legitimer Meinungsäußerung sich ausdehnen und daher vor Gericht auch weiter auszulegen wären. Etwa soweit, dass Volksverhetzung sich soweit ausbreiten kann, bis es die ersten Toten gibt?
Der Suizid der iranischen trans* Frau Ella aus Berlin und der Tod von Malte C. aus Münster zeigen, dass die Opfer dieses Hasses auch nach ihrem Tod nicht vor niederträchtigen Taten und Posts in sozialen Netzwerken sicher nicht.
Ellas Grab wurde mehrfach geschändet und Malte C. ist auch nach seinem Tod für einige in dieser Gesellschaft immer noch kein Mann und man trampelt so noch auf seinem Grab herum. Das angeblich nur zweigeschlechtliche „biologische Geschlecht“ ist der Hammer, den man uns sprichwörtlich auf den Kopf haut.
Die nächste Stufe der Eskalation ist schon erreicht. Eine Radikalfeministin aus England forderte ein T im Ausweis von trans* Personen, damit man trans* Frauen im Zweifelsfall aus angeblichen „Frauenschutzräumen“ aussperren kann, und in Deutschland kämpft die dgti gerade für das Recht, die Leugnung von NS Verbrechen an trans* Personen auch so nennen zu dürfen.
Während die Gerichte noch arbeiten, legt die Gefolgschaft dieser Leugner*innen noch fleißig nach.
Die hinterhältigste Form der trans* Feindlichkeit ist der Versuch uns angeblich vor uns selbst schützen zu wollen: Rechtskonservative und evangelikale Kreise verbreiten das Märchen von der sozialen Ansteckung mit Trans*, und die angebliche explosionsartig wachsende Schar von Kindern, deren Eltern sie von Ärzt*innen „kastrieren lassen“ wollen. Der Ton wird immer schärfer, und man möchte wie schon die Abtreibungsgegner*innen, Kliniken und Ärzt*innen vor ihren Einrichtungen auflauern.
Was in den USA schon an der Tagesordnung ist, wird hier gerade vorbereitet.
Einem trans* Jungen aus Texas verweigerte man die nötige Hormontherapie. Den folgenden Suizidversuch beantworteten die Behörden mit einer hochnotpeinlichen Befragung der Eltern, ob den ihr Kind verbotswidrig Hormone bekommen hätte.
In Deutschland lassen sich Kliniken von den Vorgängen im Ausland durchaus beeindrucken. Das hat dazu geführt, dass Eltern mit ihren trans* Jugendlichen nur wg. der Hormontherapie mehrere Verordnungen einholen müssen, was monatelange Verzögerungen bis zum Beginn der Therapie bedeutet.
Manche lässt man so am ausstreckten Arm regelrecht verrecken. Wir wählen diese Sprache ganz bewusst, da wir wissen, was der medizinische Dienst an Meinungen in seine Gutachten schreibt, und wie lange Sozialgerichte bis zu einer Entscheidung brauchen. Aus einer Sache von einigen Monaten wird so ein Martyrium von eineinhalb Jahren.
Die Opfer dieser Machenschaften hat bisher niemand gezählt.
Damit sich etwas ändert, muss das Selbstbestimmungsgesetz der Ampelkoalition kommen.
Alles andere wäre ein Nachgeben gegenüber Hetze und Desinformationskampagnen und macht den Weg für noch mehr Geschlagene und Tote frei.