Ein langer Weg voller Mut, Widerstand und Hoffnung: Die Geschichte von Trans*- und Inter*personen in Deutschland ist mehr als eine Abfolge von Gesetzen und historischen Ereignissen. Sie erzählt von bahnbrechenden Vorreiter*innen, von Zeiten der Unterdrückung und von einem unermüdlichen Streben nach Freiheit und gesellschaftlicher Akzeptanz. Diese Reise beginnt in einer Epoche wissenschaftlicher Neugier, führt durch die Schrecken des Nationalsozialismus und mündet in einem bis heute andauernden Kampf um Gleichberechtigung und Sichtbarkeit.
Aufbruch und erste Schritte: Die Pionierzeit der Weimarer Republik
Im frühen 20. Jahrhundert – in den kulturell aufregenden Jahren der Weimarer Republik – wagten in Deutschland erstmals Menschen den Schritt aus der Unsichtbarkeit, die sich nicht mit dem bei Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizierten. Magnus Hirschfeld, ein Berliner Arzt, Sexualforscher und Aktivist, prägte 1910 den Begriff „Transvestit“ und eröffnete damit eine neue Perspektive auf Geschlechtsidentität. Mehr zur historischen Forschung findest du bei der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft und in der Publikation von Hergemöller, B.-U. (2001).
Hirschfelds 1919 gegründetes „Institut für Sexualforschung“ in Berlin wurde zur ersten Anlaufstelle für Trans*Personen weltweit: Beratung, medizinische Unterstützung und sogar erste geschlechtsangleichende Operationen fanden dort statt. In dieser vergleichsweise liberalen Atmosphäre entstanden Publikationen wie „Das 3. Geschlecht“, und mutige Menschen wie Dora Richter oder die dänische Künstlerin Lili Elbe wagten den Schritt zu geschlechtsangleichenden Eingriffen – Pioniertaten, die zum Fundament heutiger medizinischer Entwicklungen wurden.
Verfolgung und Vernichtung: Die dunkle Zeit des Nationalsozialismus
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 wurde die aufstrebende Trans*- und Inter*bewegung brutal zerschlagen. Das Institut von Hirschfeld – Sinnbild für Toleranz und wissenschaftlichen Fortschritt – fiel den Plünderungen der NS-Diktatur zum Opfer, seine Forschungsarbeiten gingen in Flammen auf. Der Terror richtete sich nicht nur gegen Homosexuelle: Auch Trans*- und Inter*Personen waren Repressionen ausgesetzt, da ihre bloße Existenz dem NS-Wahn von „Rasse“ und „Reinheit“ widersprach. Vertiefende Analysen bietet unter anderem die Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft sowie die Aufsatzsammlung von Jellonnek, B. & Lautmann, R. (2002).
Viele Trans*Personen wurden unter dem damals verschärften §175 verfolgt, obwohl das Gesetz sich offiziell nur auf gleichgeschlechtliche Handlungen zwischen Männern bezog. Während der NS-Zeit herrschten für Menschen, die man häufig als „Transvestiten“ bezeichnete, Angst und Unsicherheit. Einige mussten untertauchen oder ihre Identität verleugnen, um der Deportation zu entgehen. Über das Schicksal vieler Inter*Personen während dieser Zeit ist bis heute wenig bekannt, da die Forschung noch immer Lücken aufweist.
Zwischen Unsichtbarkeit und Widerstand: Nachkriegszeit und geteiltes Deutschland
Der Zusammenbruch des Nationalsozialismus und die Teilung Deutschlands brachten neue Herausforderungen. In der Bundesrepublik Deutschland (BRD) blieb der verschärfte §175 bis 1969 in Kraft und kriminalisierte weiterhin homosexuelle Handlungen, was auch das Leben von Trans*Personen stark beeinträchtigte. In der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) erfolgte die Abschaffung des §175 zwar bereits 1968, doch blieben Diskriminierung und staatliche Kontrolle bestehen. Mehr zur Situation in der DDR findet sich unter der Bundesstiftung Aufarbeitung.
Ein wichtiger Meilenstein war das Transsexuellengesetz (TSG) von 1980, das 1981 in Kraft trat. Es erlaubte Trans*Personen erstmals, ihren Vornamen und den Geschlechtseintrag rechtlich anzupassen – allerdings zu einem hohen Preis: Langwierige Begutachtungsverfahren, Sterilisation (bis 2011) und die Scheidung von Ehepartner*innen (bis 2008) waren lange Pflicht. Trotz dieser problematischen Aspekte war das TSG dennoch ein erster Schritt in Richtung rechtlicher Anerkennung.
Sichtbarkeit, Kampf und Fortschritt: Von der Wiedervereinigung bis zum Selbstbestimmungsgesetz
Nach der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 wuchs das Engagement der Trans*- und Inter*Community nochmals. Die 1997 gegründete Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti) bündelte Interessen und wurde zu einer starken Stimme für mehr Rechte und Akzeptanz. Es folgte ein langer Kampf um Gesetzesänderungen: Mehrere Urteile des Bundesverfassungsgerichts stellten seit den 2000er-Jahren Teile des TSG als verfassungswidrig fest und brachten Verbesserungen wie das Ende der Zwangsscheidung (2008) und der Zwangssterilisation (2011) mit sich. Wer sich dafür interessiert, findet entsprechende Entscheidungen in der Datenbank des Bundesverfassungsgerichts (z.B. 1 BvL 10/05 und 1 BvR 3295/07).
Im Jahr 2013 ermöglichte Deutschland als weltweit erstes Land einen offenen Geschlechtseintrag im Geburtenregister für Neugeborene mit uneindeutigen Geschlechtsmerkmalen. 2018 entschied das Bundesverfassungsgericht zudem, dass neben „männlich“ und „weiblich“ eine dritte Option („divers“) zu schaffen sei – ein Meilenstein für die Anerkennung nicht-binärer Identitäten.
Das Selbstbestimmungsgesetz, das 2024 in Kraft treten soll, gilt als vorläufiger Höhepunkt dieser Entwicklung. Es löst das veraltete TSG ab und ermöglicht Trans*- und Inter*Personen sowie nicht-binären Menschen, ihren Geschlechtseintrag und Vornamen künftig durch eine einfache Erklärung beim Standesamt zu ändern – ohne medizinische Begutachtung oder andere erniedrigende Hürden. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend informiert ausführlich über Inhalte und Ziele dieses Gesetzes.
Parallel zu den rechtlichen Fortschritten wuchs das gesellschaftliche Bewusstsein. Der Christopher Street Day (CSD), inspiriert vom Stonewall-Aufstand in New York 1969, machte Trans*- und Inter*Themen in der breiten Öffentlichkeit sichtbar. Film, Fernsehen und Literatur trugen ebenso zu mehr Akzeptanz bei. Wissenschaftliche Forschung, etwa durch die Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung (DGfS), lieferte weitere Erkenntnisse über geschlechtliche Vielfalt. Einen umfassenden Überblick bietet das Dossier Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt der Bundeszentrale für politische Bildung.
Noch nicht am Ziel: Der Weg zur vollständigen Gleichstellung
Die Geschichte von Trans*- und Inter*Personen in Deutschland ist ein eindrückliches Beispiel dafür, wie aus Widerstand und Hoffnung schrittweise echte Veränderungen erwachsen. Rechtliche Anerkennung und Fortschritte wie das Selbstbestimmungsgesetz sind wichtig, aber gesellschaftliche Akzeptanz lässt sich nicht allein per Gesetz verordnen. Viele Trans*- und Inter*Personen erleben noch immer Diskriminierung, Vorurteile und mangelnden Zugang zu medizinischer Versorgung.
Doch jeder gewonnene Schritt macht Mut. In einer Gesellschaft, die Vielfalt als Bereicherung begreift und aktiv fördert, ist ein freies, selbstbestimmtes Leben für alle Menschen möglich – unabhängig von ihrer Geschlechtsidentität. Die Reise ist noch nicht zu Ende, aber die Richtung ist klar: weiter vorwärts zu einer umfassenden Gleichstellung und Anerkennung.
Möchtest du dich stärker für Aufklärung und Akzeptanz engagieren? Dann hast du verschiedene Möglichkeiten, die Deutsche Gesellschaft für Trans*- und Inter*geschlechtlichkeit (dgti) zu fördern. Mit einer Mitgliedschaft sorgst du dafür, dass Aufklärungsarbeit und politisches Engagement kontinuierlich wachsen können. Die Peerberatung bietet trans*, inter* Personen und nicht-binären Menschen sowie allen Interessierten einen sicheren Ort für Austausch und Wissenstransfer. Und natürlich sind auch Spenden ein wichtiger Pfeiler, um Beratung, Bildungsprojekte und Aktionen dauerhaft zu sichern.