US-Bericht gegen trans* Versorgung: Hintergründe, Netzwerke und Fakten

Im November 2025 veröffentlichte das US-Gesundheitsministerium (HHS) unter der Trump-Administration ein Papier mit dem Titel „Treatment for Pediatric Gender Dysphoria“. Der Bericht warnt eindringlich vor der medizinischen Versorgung von trans* Jugendlichen und fordert drastische Einschränkungen. Das Dokument wirkt auf den ersten Blick wie eine neutrale, staatliche Empfehlung und hat das Potenzial, die internationale Debatte massiv zu beeinflussen.

Viele Eltern, Fachkräfte und trans* Personen in Deutschland sind verunsichert, da die Argumente aus den USA zunehmend in hiesigen Diskussionen auftauchen. Doch eine genaue Prüfung zeigt: Hinter dem offiziellen Anstrich verbirgt sich kein neuer wissenschaftlicher Konsens. Es handelt sich um das strategische Werkzeug einer ideologischen Gruppe.

Wir als dgti e. V. setzen uns für Aufklärung und Selbstbestimmung ein. Deshalb beleuchten wir hier die Netzwerke, die Autor*innen und die tatsächliche Faktenlage.

Der Mythos vom unabhängigen „Peer Review“

Wissenschaftliche Qualität steht und fällt mit der Unabhängigkeit. Der Goldstandard ist das sogenannte „Peer Review“. Dabei prüfen unbeteiligte Fachexpertinnen eine Studie auf methodische Fehler. Der US-Bericht gegen trans Versorgung schmückt sich mit diesem Anspruch und behauptet, wissenschaftlich validiert zu sein. Recherchen belegen nun jedoch das Gegenteil.

Es fand keine neutrale Begutachtung statt. Die Autorinnen und die Prüfenden entstammen demselben Netzwerk und teilen die gleiche ideologische Grundhaltung. Man kann dies mit einem Gerichtsprozess vergleichen, bei dem Anklage und Richterinnen derselben Kanzlei angehören. Die beteiligten Personen stehen fast ausnahmslos der „Society for Evidence-Based Gender Medicine“ (SEGM) nahe. Diese Organisation führt zwar „Medizin“ im Namen, ihr Gründungszweck ist jedoch der Kampf gegen die etablierte, affirmierende (bestätigende) Gesundheitsversorgung.

Das Papier wurde im Mai 2025 zunächst anonym veröffentlicht. Dies sollte den Eindruck objektiver Wissenschaft verstärken. Tatsächlich diente die Anonymität dazu, die engen Verbindungen zwischen den Verfassenden zu verschleiern. Dem Bericht fehlt somit ein echtes Qualitätssiegel; er ist ein politisches Positionspapier im Gewand einer Studie.

Die Autor*innen: Ein geschlossenes Netzwerk

Der Journalist Ben Ryan veröffentlichte im November 2025 die Namen der neun Autorinnen. Die Liste bestätigt die Befürchtungen vieler Expertinnen: Es handelt sich nicht um eine breite Auswahl an Forschenden, sondern um einen Zirkel bekannter Aktivistinnen gegen trans Rechte.

Evgenia Abbruzzese spielt eine zentrale Rolle. Sie ist Mitgründerin und Senior Advisor von SEGM. Ihre Publikationen zielen fast immer darauf ab, die Glaubwürdigkeit der Gendermedizin zu untergraben. Ein weiterer Autor ist Michael K. Laidlaw. Der Endokrinologe ist in den USA kein Unbekannter: Er tritt regelmäßig als Gutachter in Gerichtsverfahren auf, um gegen den Zugang zu medizinischer Versorgung auszusagen. Seine Verbindung zu SEGM ist eng und dokumentiert.

Auch die Ko-Autor*innen Yuan Zhang und Kathleen McDeavitt fallen durch ihre Nähe zu diesem Netzwerk auf und publizieren regelmäßig Artikel, die die Evidenzbasis von Behandlungen infrage stellen. Unterstützung holte sich die Gruppe aus fachfremden Disziplinen: Der Philosoph Alex Byrne (MIT) und der Bioethiker Moti Gorin lieferten die ethischen Argumentationsmuster. Sie arbeiten teils mit konservativen Denkfabriken wie dem „Manhattan Institute“ zusammen. Auch Verbindungen zum „American College of Pediatricians“ bestehen – einem kleinen Verband, der christlich-konservative Werte vertritt und nicht mit der großen amerikanischen Kinderärzte-Vereinigung verwechselt werden darf.

Strategische Parallelen zum „Cass Review“

Das Vorgehen im aktuellen US-Bericht ist kein Einzelfall, sondern folgt einer Strategie, die bereits in Großbritannien beim „Cass Review“ zu beobachten war. Das Ziel ist identisch: Die medizinische Versorgung von trans* Jugendlichen soll delegitimiert werden.

Die Methode ist effektiv: Wissenschaftlich anmutende Texte werden gezielt platziert, um politischen Entscheidungsträger*innen als Rechtfertigung für Gesetzesverschärfungen zu dienen. Beide Berichte nutzen ähnliche rhetorische Mittel, stellen die Versorgung als „experimentell“ und „riskant“ dar und ignorieren dabei den weltweiten medizinischen Konsens der großen Fachgesellschaften (wie der WPATH oder der deutschen DGKJP). Diese betonen seit Jahren die Notwendigkeit geschlechtsangleichender Maßnahmen.

Der US-Bericht erschien zeitgleich mit neuen politischen Kampagnen, die trans* Jugendlichen den Zugang zu Ärztinnen und Therapeutinnen verwehren wollen. Das Papier liefert die scheinbar neutrale Begründung für diese ideologisch motivierten Gesetze.

Fakten gegen Angst: Schutzfaktor Medizin

Das zentrale Argument der Kritiker*innen ist oft die Sorge um das Kindeswohl. Sie behaupten, Behandlungen würden schaden. Große Datenerhebungen widerlegen diese These jedoch deutlich.

Ein Blick auf die Studie „Writing Themselves In 4“ (Hill et al.) aus Australien, eine der umfangreichsten Befragungen von LGBTIQ*-Jugendlichen, liefert belastbare Zahlen. Die Ergebnisse sind eindeutig: Der Zugang zu geschlechtsangleichender, affirmativer Versorgung rettet Leben.

Jugendliche, die die benötigte medizinische Unterstützung erhielten, zeigten signifikant bessere psychische Gesundheitswerte. Ihr Risiko für Suizidversuche und selbstverletzendes Verhalten war deutlich geringer als bei jenen, denen die Hilfe verwehrt wurde. Die Medizin wirkt hier als sogenannter protektiver Faktor – sie stärkt die Resilienz und das Überleben.

Wer diese Versorgung verbietet, erreicht das Gegenteil von Kinderschutz. Verbote erhöhen den Leidensdruck und treiben die Suizidgefahr bei einer ohnehin vulnerablen Gruppe in die Höhe. Unsere Haltung deckt sich hier mit der Einschätzung von Cornelia Kost (Vorstandsmitglied und Psychologin): Wer medizinisch notwendige Behandlungen verbietet, gefährdet wissentlich das Leben von trans* Jugendlichen.

Die Relevanz für Deutschland

Diese US-amerikanischen Debatten mögen weit weg wirken, doch die Akteur*innen sind global vernetzt und nehmen aktiv Einfluss auf die Situation in Deutschland.

Im September 2025 veranstaltete SEGM eine Konferenz in Berlin unter dem Titel „Evidence, Etiologies, Ethics, and Psychotherapy“. Internationale Kritiker*innen trafen dort auf deutsche Mediziner wie Alexander Korte, Florian Zepf und Tobias Banaschewski – Namen, die auch in der deutschen Debatte um Behandlungsleitlinien sehr präsent sind.

Besonders brisant war ein Grußwort von Dr. med. Klaus Reinhardt. Der Präsident der Bundesärztekammer verlieh der Veranstaltung damit eine Legitimität, die von vielen Fachverbänden und der Community scharf kritisiert wurde. Die Argumente aus dem US-Bericht werden hierzulande aufgegriffen, um Verunsicherung zu schüren und die Umsetzung moderner, menschenrechtsbasierter Leitlinien zu verzögern.

Medienkompetenz stärken

In Zeiten von Desinformation ist Medienkompetenz der beste Schutz. Wissenschaftlich klingende Texte können Angst machen, doch ein kritischer Blick auf die Quellen hilft bei der Einordnung.

Bei solchen Berichten helfen folgende Fragen:

  • Wer hat den Text verfasst?
  • Gehören die Autor*innen einer politischen Interessengruppe an?
  • Widerspricht das Papier der Haltung etablierter, weltweiter Fachgesellschaften?

Echte wissenschaftliche Paradigmenwechsel basieren auf breiter Forschung und Konsens, nicht auf einzelnen Papieren einer ideologischen Nische. Wir ermutigen dazu, sich auf valide Quellen zu stützen. Die Mehrheit der medizinischen Welt steht weiterhin an der Seite von trans* Menschen. Fakten wie die aus der australischen Studie wiegen schwerer als politische Meinungsmache.

Das Maskottchen der dgti und und eine hellviolette herzförmige Figur stehen im Regen. Die herzförmige Figur hält einen großen schwarzen Regenschirm, der beide schützt. Um sie herum fallen dunkelviolette Regentropfen vor einem dunklen Hintergrund. Beide Figuren haben einfache, freundliche Gesichter.

Unterstützung und Handeln

Niemand muss diese Situation allein bewältigen. Die dgti e. V. steht der Community und Angehörigen zur Seite.

Quellenverweise

  • HHS (2025, November): Gender Dysphoria Report Peer Reviews and Responses.
  • Ryan, B. (2025, 19. Nov.): Unmasked At Last: The 9 Authors of the Trump Administration Report On Pediatric Gender Medicine. Hazard Ratio.
  • Hill, A. O., et al. (2021): Writing Themselves In 4: The health and wellbeing of LGBTQA+ young people in Australia. (Daten zur Suizidprävention durch medizinische Versorgung).
  • SEGM (2025): Informationen zur Konferenz „Youth Gender Distress“ in Berlin (September 2025).

Teilen auf:

Weitere interessante Artikel

Pressemitteilung: 1 Jahr Selbstbestimmungsgesetz

1 Jahr Selbstbestimmungsgesetz – Bilanz und offene Baustellen

Fortschritt mit Lücken Ein Jahr nach Inkrafttreten des Selbstbestimmungsgesetzes (SBGG) zeigt sich: Viele Menschen haben lange auf diesen Schritt gewartet. Seit dem 1. November 2024 wurden über 22.000 Vornamens- und Personenstandsänderungen gemeldet. Trans*, inter* und nicht-binäre Personen können ihr Geschlecht nun selbst bestimmen, ohne medizinische Gutachten oder Gerichtsbeschlüsse. Das Gesetz beendet eine

Weiterlesen »
Antragstellung XXII. Qualitätszirkel Psychotherapeut*innen: Zu sehen das Logo der dgti und das Logo des Qualitätszirkels Psychotherapeut*innen

XXII. Antragstellung für geschlechtsangleichende Maßnahmen bei Krankenkassen – Wege, Unterstützung und Optionen bei Ablehnung

Einladung zum 22. Qualitätszirkel Psychotherapeut*innen am 29.11.2025 Inhalt: Wir besprechen wichtige Formalia zur Antragstellung von geschlechtsangleichenden Maßnahmen auf Basis der Begutachtungsanleitung des Medizinischen Dienstes, sowie Handlungsoptionen bei Ablehnung. Zudem wird es um die Zusammenstellung von Gründen für Rückfragen des Medizinischen Dienstes auf Basis der Erfahrungen der dgti gehen. Referierende Personen

Weiterlesen »
Handwerkszeug für die Arbeit mit transgeschlechtlichen und geschlechtsdiversen Menschen mit Transitionswunsch am 30. Januar 2026 - Eine Fotbildung für psychotherapeutisch Tätige Personen

Handwerkszeug für die Arbeit mit transgeschlechtlichen und geschlechtsdiversen Menschen mit Transitionswunsch – Fortbildung am 30.01.2026

Fortbildung für psychotherapeutisch tätige Personen Durchgeführt von Cornelia Kost, Adan Geißendörfer und Flora Buczkowski. In dieser Fortbildung soll ein Beitrag dazu geleistet werden die Versorgungslücke zu schließen, indem Sie befähigt werden transgeschlechtliche Menschen effizient in ihren Prozessen zu begleiten. Für wen ist die Fortbildung geeignet? Psychotherapeutisch tätige Personen mit und

Weiterlesen »
Logo der dgti e.V.

Spenden Sie für unsere Arbeit