Enttäuschendes Urteil
Der britische Supreme Court (SC) gab ein enttäuschendes Urteil zu einer Klage gegen eine Quotenregelung in Schottland ab, die trans* Frauen die gleichen Rechte wie cis Frauen zugestand. Die Entscheidung lautet, dass Frauen im Sinne des Equality Act (EA) nur „biologische“ Frauen sein sollen, trans* Frauen also nicht die gleichen Rechte zustehen. Der Gender Recognition Act von 2004 wird damit weitgehend entwertet.
Der SC existiert erst seit 2009. Er ist zwar das höchste britische Gericht, aber kein Verfassungsgericht. Ob der Equality Act Grund- oder Menschenrechten entspricht, hatte das Gericht nicht zu entscheiden. Im britischen Recht gibt es zudem kein dem deutschen Selbstbestimmungsgesetz vergleichbares Verfahren.
Unsere Kernaussagen:
- Der Supreme Court hat fundamentale Details der EU Rechtsprechung nicht gewürdigt
- Die Urteilsbegründung präsentiert untaugliche Szenarien und wählt dann einseitig aus
- Die Folgen sind die rechtlich unterstützte oberflächliche (Falsch-)Einteilung nach Aussehen
- Trans* Personen als gesellschaftliche Gruppe wurden nicht angehört
Was „biologische Frau“ bedeuten soll, hat der Supreme Court nicht ausgeführt und ist für die rechtliche Betrachtung nicht entscheidend, wie wir noch weiter ausführen werden.
Der Supreme Court hat entsprechend der britischen Rechtstradition zahlreiche Gerichtsurteile in seiner Urteilsbegründung aufgelistet. Er hat dabei völlig korrekt auch auf Entscheidungen verwiesen, die vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) oder dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EuGMR) verhandelt wurden. Aufgrund von EU-Richtlinien oder Gerichtsurteilen wurden immer wieder Ergänzungen am Equality Act vorgenommen.
Das Gericht sagt nun, man darf trans* Personen mit einem Zertifikat nach dem Gender Recognition Act von 2004 (GRC) ihr dadurch erklärtes Geschlecht absprechen, wenn es um Gleichberechtigung bei einer Quotenregelung geht. Der Gender Recognition Act ist vergleichbar mit dem deutschen Transsexuellengesetz und soll eigentlich per Definition die rechtliche Gleichstellung im erlebten Geschlecht ermöglichen. Der Equality Act hingegen verbietet Benachteiligungen wegen des Vorhandenseins einer solchen Erklärung. Statt eine in der Realität nicht vorhandene Unklarheit bez. der Definition von Geschlecht zu beseitigen, schafft das Gericht Widersprüche zwischen verschiedenen Gesetzen.
Unzureichende Überlegungen des Gerichts
Eine ausführliche Urteilsbegründung darf nicht automatisch zur Annahme führen, ein Gericht wie der Supreme Court hätte alles und dies auch korrekt bedacht. Der Supreme Court hat sich zwar beim Antidiskriminierungsrecht hinsichtlich trans* Personen der Rechtsprechung und EU-Richtlinien bedient, die sich um Benachteiligungsverbote bezüglich rechtlicher und sozialer Rolle (Gender) drehen, aber:
- Unzureichend gewürdigt hat das Gericht Entscheidungen wie C-13/94 ECR I-2143 des EuGH, die für die britische Rechtsprechung ebenso maßgeblich sind und bleiben. Darin wird Diskriminierung gegen trans* Personen Diskriminierung wg. des Geschlechts genannt und ausdrücklich das englische Wort „sex“ verwendet, also das „biologische“ Geschlecht, das der Supreme Court trans* Frauen nicht zugestehen will. Der Gender Recognition Act von 2004 steht dem Gerichtsentscheid ebenfalls entgegen: Dort heißt es: Der Erwerb des Gender Recognition Certificate (GRC) führt zu einer Änderung des Geschlechts (wörtlich „sex“) für alle Zwecke. Die schottischen Gerichte hatten in den Vorinstanzen entsprechend entschieden.
- Der Supreme Court beschreibt in einem Szenario, es wäre mit einer inklusiven Auslegung des Equality Act möglich, ein Vorstandsgremium zu 100% mit „biologischen“ Männern zu besetzen, also 50% cis Männer und 50% vom SC nun als Männer kategorisierte trans* Frauen. Das würde die Rechte von Frauen einschränken. So wie der SC jetzt entschieden hat, ist es nun möglich, dass das gleiche Gremium zu 100% aus „biologischen“ Frauen bestehen kann, 50% cis Frauen und 50% vom SC als Frauen kategorisierte trans* Männer. Beide Szenarien taugen daher nicht für eine Urteilsbegründung.
- Der Supreme Court begründet seine Entscheidung auch damit, trans* Männer könnten durch den EA ihren Schutz im Arbeitnehmerverhältnis verlieren (sollten sie schwanger werden), wenn man sie in jeder Hinsicht als Männer einstuft. Hier greift jedoch der Schutz vor Diskriminierung aufgrund der Tatsache einer rechtlichen Geschlechtsänderung, der ebenfalls im Equality Act verankert ist. Will das Gericht diesen in Frage stellen?
- Das Urteil führt dazu, dass Frau sein völlig legal nach Aussehen beurteilt werden darf, also ob z.B. ein Gastwirt eine Person beim Toilettengang als trans* einschätzt oder nicht. Der Verdacht „trans*“ reicht aus, um jemanden in seinen Rechten zu beschneiden und den Zugang zu einem „single sex space“ zu verweigern. Das Gegenteil mit einem Chromosomentest zu beweisen, lässt sich in der Praxis nicht durchführen. Was das Gericht und die Kläger*innen nicht bedacht haben ist, dass trans* Männer in solchen Bereichen nun als Frauen gelten und damit ganz offiziell genötigt werden dürfen Frauenumkleiden zu betreten, d.h. eine Person mit Bart und meist tiefer Stimme, wodurch sich Frauen mit Sicherheit gestört fühlen. Sie können ja nicht ohne weiteres sehen, ob die Person trans* ist oder nicht. Ebenso sind viele trans* Frauen nicht als trans* erkennbar, wären aber in einem Männerbereich gefährdet. Daran scheint sich der Supreme Court nicht zu stören. Es spielt in diesem Zusammenhang gar keine Rolle ob jemand eine rechtliche Geschlechtsänderung hat oder nicht. Das hat das Gericht immerhin zur Kenntnis genommen.
Die zahlreichen Fehler des Gerichts zeigen sich noch deutlicher an der Situation intergeschlechtlicher Menschen mit chromosomalen Varianten, an die die britische Regierung und die Justiz mal wieder überhaupt nicht gedacht haben. Obwohl deren Geschlecht genauso biologisch wie jedes anderes ist, wird es nicht anerkannt und Antragstellende auf das GRC verwiesen, das jetzt an Wert verloren hat. Wenn es dann doch mal zu einem Chromosomentest kommt, wird der Supreme Court den Offenbarungseid leisten müssen.
Was bedeutet das Gerichtsurteil in der Praxis:
1,5% aller deutschen Frauen sind über 1,80m groß. Angenommen die Besitzerin eines Fitnessstudios fühlt sich nun zur Geschlechtspolizistin ermächtigt und trifft auf eine solche Frau, vielleicht auch während die sich in einer Chemotherapie befindet und trotz fehlender Kopfbehaarung kein Haarteil benutzen möchte, oder, eine trans* Frau, die äußerlich nicht von einer cis Frau zu unterscheiden ist, wird nun auf die Männerstation eines Krankenhauses oder ins Männergefängnis verlegt. Das macht der Supreme Court jetzt ausdrücklich möglich. Wer möchte dieses Fiasko haben?
- Ein höchstes Gericht muss aus Prinzip bereit sein, sein Urteil unter Berücksichtigung aller Parteien, hie also aller unmittelbar betroffenen gesellschaftlichen Gruppen zu erörtern und sie anzuhören. Dies hat der Supreme Court nicht getan. Trans* Personen oder ihre Verbände wurden nicht gehört.
Wir fordern die schottische Regierung auf, das Urteil nicht zu akzeptieren und anzufechten.
Die britische Regierung fordern wir auf, den Equality Act so zu ergänzen, dass er trans* Personen die gleichen Rechte garantiert, die ihrem geäußerten Geschlecht entsprechen. Der Erwerb eines GRC ist an unzeitgemäße hohe Hürden gebunden und führt trotzdem nicht zu einer vollen rechtlichen Anerkennung. Wir rufen dazu auf, den Gender Recognition Act in Richtung eines Selbstbestimmungsgesetzes zu reformieren. Trans* Personen dürfen außerdem keine rechtlichen Nachteile durch den Erwerb eines GRC bekommen, denn das ist der eigentliche Sinn eines Gleichstellungsgesetzes. Die Nichtanerkennung des neu festgestellten Geschlechts in vielen relevanten Lebensbereichen ist das genaue Gegenteil von Gleichstellung und trans* feindlich.
- Das Urteil zeigt einmal mehr, wie wichtig der Schutz der geschlechtlichen Identität im Grundgesetz (GG) ist. Deshalb fordern wir die Ergänzung von Art3(3) GG um die sexuelle und geschlechtliche Identität.
https://supremecourt.uk/uploads/uksc_2024_0042_judgment_aea6c48cee.pdf