Pressemitteilung zum Referentenentwurf Selbstbestimmungsgesetz

Pressemitteilung zum Selbstbestimmungsgesetz
Pressemitteilung zum Selbstbestimmungsgesetz

Die Verbändeanhörung zum Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) startet

Das Bundesjustizministerium hat am 9.5.2023 den Referentenentwurf für das (SBGG) veröffentlicht. Die Abschaffung der Diskriminierung durch das sogenannte „“ (TSG) war ein langer Weg und ein harter Kampf –  vor 11 Jahren legte die mit anderen Vereinen bereits das Forderungspapier zu einer TSG-Reform vor und forderte geschlechtliche Selbstbestimmung, wie auch schon in den Jahren 2000, 2009, 2015 und 2021.

Hinweis: Diese Pressemitteilung stellt lediglich einen vorläufigen Auszug aus unserer ausführlichen Stellungnahme dar, die wir  innerhalb der vorgegebenen Frist bis zum 30.5.2023 nach Abstimmung mit unseren Mitgliedern abgeben werden.

Die Abschaffung des Transsexuellengesetzes ist längst überfällig. Wir begrüßen, dass die Ampelkoalition eine weitere Vereinbarung  aus dem Koalitionsvertrag umsetzt. Zukünftig soll nur noch die Selbstaussage durch eine Erklärung und zusätzliche Versicherung genügen, damit der Geschlechtseintrag und/oder der Vorname dem eigenen gelebten entsprechend angepasst werden. Gewählt werden kann einer vom eigenen Geschlechtseintrag abweichender Eintrag (männlich, weiblich, divers, kein Eintrag).

Die bisherige Regelung, Personen per se das Wissen über das eigene Geschlecht abzusprechen und fremd zu begutachten, wird damit abgelöst. Auch die Pathologisierung von intergeschlechtlichen Menschen durch die ärztliche Attestierung einer Variante der Geschlechtsentwicklung für eine Änderung nach dem § 45b wird damit aufgehoben.

Gegenüber den im letzten Sommer vorgestellten Eckpunkten ist der Entwurf an mehreren Stellen zurückgefallen und kann unter Umständen auch Verschlechterungen gegenüber dem TSG bedeuten.

Im Antidiskriminierungskontext möchten wir den Begriff geschlechtliche Identität sicher verankert sehen. Dem Ersatz von Geschlechtszugehörigkeit im TSG durch geschlechtliche Identität im Selbstbestimmungsgesetz haftet jedoch der Makel einer unvollständigen Gleichstellung mit Geschlecht an, solange diese nicht an anderer Stelle z.B. im Grundgesetz oder dem AGG ausdrücklich erfolgt ist. Bis dahin bedeutet die gewählte Formulierung unseres Erachtens eine Verschlechterung.  

Eine deutliche Verschlechterung gegenüber den Eckpunkten zum Selbstbestimmungsgesetz zeigt sich auch für Jugendliche.

Statt einer Beratungspflicht gilt nun, dass Jugendliche zwar zwischen 14 und 18 die Erklärung selbst abgeben dürfen, die Sorgeberechtigten aber einwilligen müssen. Tun sie dies nicht, sollen Familiengerichte diese Entscheidung übernehmen. Hier steht zu befürchten, dass diese Gerichte erneut Gutachten einholen. Das Machtgefälle zwischen Jugendlichen und ihren Erziehungsberechtigten sorgt zudem für weitere Hürden auf dem Weg der . Unserer Ansicht nach widerspricht diese Regelung der UN-Kinderrechtskonvention (Art. 2, 3, 8 und 12). Der Verzicht auf alleinige Selbstbestimmung der Jugendlichen folgt unwissenschaftlichen Thesen von der „sozialen Ansteckung“.

Der Entwurf macht den Eindruck, als traute sich der Gesetzgeber an echte Selbstbestimmung nur zaghaft heran.

Um Missbrauch und voreilige Entschlüsse zu erschweren, baut der Gesetzgeber eine dreimonatige Karenzzeit für alle Antragstellenden ein, in der die Erklärung zurückgenommen werden kann und nach der erst die Erklärung über die Änderung(en) wirksam wird. Dies ist eine klare Verschlechterung für intergeschlechtliche Menschen, die bisher ihren Personenstand durch eine Erklärung beim Standesamt und Vorlage eines ärztlichen Attestes sofort ändern konnten. Zusätzlich wurde eine einjährige Sperrfrist eingebaut, was faktisch eine 15-monatige Frist bis zu einer erneuten Änderung bedeutet.

Im § 6 Abs. 1 des Entwurfs wird bestehendes Recht erneut präsentiert. Der unnötige Verweis auf das Hausrecht im § 6 Abs. 2 bezieht sich auf Befürchtungen, dass Männer in relevanter Anzahl das Gesetz ausnutzen könnten, um Zugang zu tatsächlich Frauen vorbehaltenen Räumen zu bekommen. Das Vorurteil, seien in Wahrheit nur Männer, wird dadurch verstärkt und reproduziert damit aktiv Diskriminierungen.

Sport, und vor allem Breitensport, hat sich im diskriminierungsfreien Raum abzuspielen. § 6 Abs. 3 spricht den Sportverbänden jedoch völligen Freiraum zu, trans*  Personen und insbesondere trans* Frauen aus Frauenkategorien komplett auszuschließen, sei dies nun aus Gründen der Fairness gerechtfertigt oder auch nicht.

§ 6 Abs. 4 stellt unseres Erachtens die seit 2021 bestehenden Abrechnungsmöglichkeiten1 geschlechtsspezifisch kodierter Behandlungen wie z.B. Vorsorgeuntersuchungen in Frage, wenn Personenstand und Anatomie nicht zusammenpassen, z.B. Untersuchung von Ovarien bei trans* Männern oder Prostata bei einer trans* Frau, weil die gewählte Formulierung auch zum Nachteil Krankenversicherter interpretiert werden kann, wenn sich aus einem Personenstand bestimmte Ansprüche ableiten lassen oder nicht.

Wir fordern dazu auf, § 6 Abs. 1 im SBGG zu streichen.

Ein Mann, der sich aus niederen Beweggründen Zutritt zu „Frauenbereichen“ verschaffen will braucht dazu keine Personenstandsänderung. Ein Personalausweis z.B. enthält keine Angabe zum Geschlecht.

Im Spannungs- oder Verteidigungsfall gelten Personen mit Änderungen vom männlichen Geschlechtseintrag in einen anderen, welche innerhalb von  zwei Monaten vor Beginn oder während eines Spannungs- oder Verteidigungsfalles durch Erklärung  erfolgen, zwar nicht mehr als männlich, jedoch gelten für diesen Personenkreis was die Wehrpflicht angeht immer noch die Pflichten als wären sie es. Hier stellt sich die Frage ab wann diese zwei Monate gelten sollen, ab der persönlichen Erklärung oder deren Wirksamwerden, also der Erklärung durch die zuständige Behörde nach drei Monaten.

Trans* Eltern weiterhin Zwangsouting ausgesetzt

Die Regelung, dass trans*Eltern mit falschem Vornamen und falschem Eintrag in der Geburtsurkunde ihrer Kinder stehen, wurde aus dem Transsexuellengesetz übernommen und in § 11 Abs. 1 gefasst. Die bisherige Regelung im BGB, dass nur gebärende Personen als „Mutter“ ihres Kindes eingetragen werden können, baut auf einem antiquierten Familien- und Rollenbild auf. Die Überhöhung der Mutterrolle stammt noch aus dunklen Zeiten der Geschichte. Spätestens mit dem Wegfall der OP-Pflicht im TSG und damit nachgewiesener Zeugungsunfähigkeit 2011 sowie durch die Einführung der vierten Option im Personenstandsregister, dem Eintrag „divers“, hätte der Gesetzgeber nachbessern müssen. Immerhin hat man hier eine Zwischenlösung mit der Möglichkeit geschaffen, sich als Elternteil anstatt Mutter oder Vater eintragen zu lassen, die Diskriminierungen verringern kann aber trotzdem keine völlige rechtliche Anerkennung ist. Positiv hingegen und neu ist die Möglichkeit, dass alte Vornamen in einer Eheurkunde nicht aufgenommen werden müssen, wenn eine Änderung durch das SBGG erfolgt ist und dies gewünscht wird.

Offenbarungsverbot mit Lücken

Das neu gefasste und die Bußgeldvorschriften sind aus unserer Sicht so nicht tragbar, auch wenn diese neuen Vorschriften für intergeschlechtliche Menschen eine Verbesserung darstellen. Trans*feindliche Ehepartner*innen sind davon ausgenommen und können nicht belangt werden, auch wenn eine Person in der Öffentlichkeit steht, greift das Verbot nicht. Vorsätzliches Misgendern und Falschbezeichnungen als Mann oder Frau wurden ebenfalls nicht mitgeregelt. Hier besteht zwingend Verbesserungsbedarf.

Die deutsche Bundesregierung muss sich endlich an den Empfehlungen der Europaratsresolution 2048 orientieren, um ein angst- und diskriminierungsfreies Leben für alle Personen des Landes zu ermöglichen. Das schließt die Pflicht ein, einen einfachen Zugang frei von Hürden zum gewünschten Personenstand zu ermöglichen.

„Insgesamt stellt der Entwurf nur einen ersten Schritt in die geschlechtliche Selbstbestimmung dar. Verbesserungen gegenüber dem TSG gibt es zwar in einzelnen Punkten, wir erwarten aber nach der Verbändekommentierung entsprechende Nachbesserungen in den kritischen Punkten durch den Gesetzgeber“ erklärt Jenny Wilken, Leitung der Bundesgeschäftsstelle der dgti.

4.2.1 – Abrechnung spezifischer Gebührenordnungspositionen bei Intersexualität oder Transsexualität (kbv.de)

https://www.kbv.de/media/sp/EBM_2021-01-01_BA_536_BeeG_Regelungen_Abrechnung_GOP_Intersexualit_t_Transsexualit_t.pdf

https://www.aerzteblatt.de/archiv/217266/Beschluss-des-Bewertungsausschusses-nach-87-Abs-1-Satz-1-SGB-V-in-seiner-536-Sitzung-(schriftliche-Beschlussfassung)-zur-Aenderung-des-Einheitlichen-Bewertungsmassstabes-(EBM)

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