Ergebnisse und Hintergründe
Menschen, die transident sind und den Wunsch haben, rechtlich als auch sozial im gewünschten Geschlecht anerkannt zu werden und zu leben, müssen in Deutschland ein Verfahren beim Amtsgericht durchlaufen, um ihren Vornamen und/oder Personenstand zu ändern. Dieses Verfahren ist durch das sogenannte „Transsexuellengesetz“ (TSG) – das Gesetz zur Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen – geregelt. Dieses ist seit 1981 in Kraft und wurde mehrfach vom Bundesverfassungsgericht in einzelnen Teilen für verfassungswidrig erklärt. „Dennoch geblieben sind für eine Änderung des Personenstands und des Vornamens aktuell noch der medizinische Gutachtenzwang und dem vorangestellt der sechs‐ bis zwölfmonatige Alltagstest [sic!].“[1]
Eine grundlegende Reform durch ein modernes Selbstbestimmungsgesetz ist für dieses Jahr geplant.[2]
Vor 1981 war es Menschen in der Bundesrepublik Deutschland nicht möglich, ihren Personenstand ihrer Geschlechtsidentität anzupassen. Dagegen klagte eine trans*Frau. „Der zuletzt mit der Sache befasste BGH erklärte, dies sei mangels gesetzlicher Grundlage nicht möglich. Das BVerfG entschied 1978 nach knapp siebenjähriger Verfahrensdauer, dass es das Grundrecht des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts geböte, „die Eintragung des männlichen Geschlechts eines Transsexuellen im Geburtenbuch jedenfalls dann zu berichtigen, wenn es sich nach den medizinischen Erkenntnissen um einen irreversiblen Fall von Transsexualismus handelt und eine geschlechtsanpassende Operation durchgeführt worden ist.““[3]
Die rechtliche Anerkennung des eigenen Geschlechts ist lebensnotwendig, da man ohne die Anerkennung des Geschlechts in seinen Handlungsmöglichkeiten stark eingeschränkt ist und von der Gesellschaft nicht in seinem Geschlecht akzeptiert wird. „Keinerlei korrekte Dokumente zu besitzen, beispielsweise in Form des Personalausweises oder auch einer Bankkarte, können zu problematischen Situationen führen. Zum Beispiel, wenn die Erscheinung und auch der Name als nicht übereinstimmend betrachtet werden.“[4]
Deshalb war die Klage der trans*Frau und das dadurch ermöglichte Gesetz für die gesamte Community ein Meilenstein in dem Kampf um Anerkennung. „Aktivist*innen erklären, dass es notwendig ist, für das eigene Geschlecht zu kämpfen, um sich selbst eine Existenzgrundlage zu schaffen. Der Kampf für ein geschlechtliches Sein, das von der hegemonialen Norm abweicht, ist für die meisten Aktivist_innen einer, den sie nicht nur für sich selbst, sondern (auch) für und mit anderen Trans*– oder Inter*Menschen ausfechten.“[5]
Das Verfahren läuft folgendermaßen ab: Zunächst wird ein Antrag beim jeweils zuständigen Amtsgericht gestellt und es werden dann zwei unabhängige Gutachter*innen/Sachverständige bestellt, die jeweils prüfen sollen, ob die antragsstellende Person sich auf Grund ihrer transsexuellen Prägung nicht mehr dem in ihrem Geburtseintrag angegebenen Geschlecht, sondern dem anderen Geschlecht als zugehörig empfindet und seit mindestens drei Jahren unter dem Zwang steht, ihren Vorstellungen entsprechend zu leben. Die Sachverständigen haben auch dazu Stellung zu nehmen, ob sich nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft das Zugehörigkeitsempfinden des Antragstellers mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr ändern wird.[6]
Die Sachverständigen können auch selbst vorgeschlagen werden: „Diese Möglichkeit besteht im gesetzlichen Rahmen bei vorliegender Kompetenz der Gutachter*innen.“[7]
Da Geschlecht und das Wissen über die eigene Geschlechtszugehörigkeit nicht von außen objektiv begutachtet werden kann[8], stellt dies „…eine nicht zu akzeptierende Fremdbestimmung dar, die sobald wie möglich abgebaut werden sollte.“[9]
Es mehren sich die Berichte über diskriminierende Begutachtungen und TSG-Verfahren, wie bspw. bei Miriam Schmidt-Jüngst: „Dass die Befürchtungen, nicht ernst genommen und für nicht trans oder geschlechtsstereotyp genug gehalten zu werden, nicht aus der Luft gegriffen sind, zeigt sich an Tajas Beispiel: Sie wollte als Zweitnamen Tomke, einen friesischen Frauennamen, eintragen und Namen und Personenstand zusammen ändern lassen. Der Richter stellte sich dem jedoch in den Weg:
Der Richter hat sich unter anderem an der Tomke aufgerieben und mir unterstellt, ich meine das doch gar nicht ernst. […] der Richter war irgendwie der Meinung, dass der Personenstand weiterer Beweise bedürfe, die ich nicht erbringen konnte und den Namen Tomke empfand er als Verarschung.
Er genehmigt ihr zwar die Namenänderung, jedoch nicht die Änderung des Personenstands, u. a. weil der Name Tomke Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Begehrens aufkommen ließe.“[10]
Man könnte dieses Verhalten bzw. „Gatekeeping“ auch als Machtmissbrauch deuten, wie es die YouTuberin „Unruly Juli“ andeutet.[11]
Laura Adamietz und Katharina Bager stellten fest, dass: „Die grund- und menschenrechtliche Analyse der verbleibenden Voraussetzungen für Vornamens- und Personenstandsänderungen ergibt, dass das aktuell geltende TSG in mehrfacher Hinsicht gegen Grundrechte und internationale Menschenrechtsübereinkommen wie die EMRK verstößt.
Insbesondere die Voraussetzung der Begutachtung (§ 4 Absatz 3) hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.“[12]
Sophinette Becker hielt bereits 2004 fest, dass die Fragen des Gesetzes an die Gutachter*innen nicht mehr dem Fachstand entsprechen würden: „Die Terminologie der im TSG an den Sachverständigen gestellten Fragen entspricht nicht dem Sachstand der fachwissenschaftlichen Diskussion (ausführlich dazu Pfäfflin 1996).“[13]
Im Zusammenhang mit ersten begutachtungsfreien, europäischen Regelungen in Irland und Malta hat die dgti e.V. zu einer Bundesratsinitiative aufgerufen (Liste Unterschriften Bundesratsinitiative 2017), die im Juni 2017 umgesetzt aber in den Ausschüssen vor der Bundestagswahl nicht mehr beraten wurde.
Aufgrund dessen wurde vom 16.2.21 bis zum 06.4.21 eine stichprobenartige Umfrage durchgeführt, um herauszufinden, inwiefern denn die Begutachtungen tatsächlich als übergriffig und diskriminierend erlebt wurden. Dazu wurden sowohl Facebookgruppen als auch Vereine und Selbsthilfegruppen angeschrieben, zudem wurde über Twitter zur Teilnahme aufgerufen.
Teilgenommen haben 421 Personen aus allen 16 Bundesländern Deutschlands.
Der Altersschnitt bei der Antragsstellung lag bei 25-34 Jahren am höchsten, dabei haben 418 Personen die Frage beantwortet, 3 Personen haben die Frage nicht beantwortet.
Dieses Ergebnis ähnelt den Ergebnissen von Dr. Kurt Seikowski und seinem Team an dem Universitätsklinikum Leipzig. Sie analysierten diesbezügliche Fragebogendaten von 1.234 Transsexuellen, die im Zeitraum von 1988 bis 2015 die Spezialsprechstunde aufsuchten.
„Dabei fiel zunächst auf, dass sich Frau-zu-Mann-Transsexuelle deutlich früher um die Lösung ihres Identitätsproblems bemühen als Mann-zu-Frau-Transsexuelle. Das Durchschnittsalter der Frau-zu-Mann-Transsexuellen betrug beim Erstkontakt 26,4 Jahre, bei den Mann-zu-Frau-Transsexuellen jedoch 35,5 Jahre. Das ist auch verständlich und nachvollziehbar, da diese Personen aufgrund der Identifikation durch die bereits in der Kindheit praktizierte männliche Kleidung deutlich weniger Verdrängungsversuche unternehmen müssen als die Personen, die als Mann geboren wurden, sich aber wie eine Frau fühlen und meist nur heimlich erste Versuche in der weiblichen Kleidung unternehmen.“[14]
Heute wird der Antrag auf Vornamens- und Personenstandsänderung schon relativ früh im Transitionsprozess gestellt, weshalb sich die Zahlen her gleichen. „Der Antrag auf Vornamensänderung (und seit 2011 auf Vornamens- und Personenstandsänderung) steht heute nicht am Ende des sozialen und körperlichen Geschlechtswechsels, sondern erfolgt etwa gleichzeitig mit der begleitenden Psychotherapie, dem offenen Leben in allen Lebensbereichen im gewünschten Geschlecht sowie der hormonellen Behandlung und fast immer vor chirurgischen Eingriffen zur Geschlechtsangleichung.“[15]
Der medial oft genannte angebliche Anstieg von jungen trans*Personen ist hier nicht zu erkennen, dass es aber durchaus junge trans*Personen gibt, die ihren Vornamen und/oder Personenstand ändern lassen möchten, wird ebenso deutlich. 17 Personen unter 18 Jahren beantworteten die Umfrage, davon 5 unter 14 Jahren.
Durch ein Urteil des Bundesgerichtshofs stehen mittlerweile alle vier Optionen des Geschlechtseintrags offen für eine Änderung per TSG-Verfahren.[16]
Dies machte sich auch in den Umfrageergebnissen bemerkbar.
Zur durchschnittlichen Dauer des Verfahrens zeigte sich, dass fast 50% der Befragten angaben, dass das Verfahren ein halbes bis einem Jahr dauerte. Ca. 25% der Befragten gaben an, dass das Verfahren länger dauerte, in 35 Fällen sogar länger als anderthalb Jahre (8,47%).
Die Zahlen gleichen den Ergebnissen aus dem Gutachten von Laura Adamietz und Katharina Bager: „Die Ergebnisse der hier durchgeführten sowie anderer Erhebungen zeichneten ein Bild der Begutachtungsverfahren, das in vielen Fällen von unverhältnismäßigem Zeit- und Kostenaufwand sowie von entwürdigenden und diskriminierenden Erfahrungen geprägt ist und somit die antragstellenden Personen in ihren Grundrechten verletzt. Das Begutachtungsverfahren wurde von den befragten Amtsgerichten als der die individuell variierende Verfahrensdauer (durchschnittlich 9,3 Monate bei einer Spanne von 5 bis 20 Monaten) maßgeblich beeinflussende Faktor benannt.“[17]
Nur knapp über die Hälfte der Befragten waren mit der Dauer des Verfahrens zufrieden:
Die Zufriedenheit mit der Begutachtung insgesamt wurde in Schulnoten angegeben.
Es zeigt sich, dass ein relevanter Teil der Befragten mit der generellen Begutachtung unzufrieden war.
Die Betrachtungen der einzelnen Begutachtungen sollen weiteren Aufschluss geben, diesmal mit der Fragestellung, ob die Begutachtung angemessen war oder grenzüberschreitend und damit übergriffig verlaufen ist. Damit konnte ein nochmal deutlicheres Bild der Erfahrungen mit der Begutachtung geschaffen werden.
Rund 22% bzw. 24% der Befragten, also im Mittel 23%, erlebten die jeweiligen Begutachtungen als grenzüberschreitend und damit entwürdigend, ein deutlicher Verweis auf die institutionelle Diskriminierung durch den deutschen Staat. Deutlicher wird dies in dem Gutachten von Laura Adamietz und Katharina Bager:
„Erwachsene berichten, dass intime Details aus der Kindheit und der sexuellen Vergangenheit abgefragt werden. Nach heute geltenden diagnostischen Kriterien sind aber weder die psychosexuelle Entwicklung in der Kindheit noch die sexuelle Orientierung ausschlaggebend für die Frage, ob aktuell eine transgeschlechtliche Identität besteht. Kleidung, die nicht den Geschlechterstereotypen der zu begutachtenden Geschlechtsidentität entspricht, wird nach den Berichten von transgeschlechtlichen Personen häufig kommentiert, Hobbys und Alltagsgestaltung auf ihre Übereinstimmung mit Geschlechterstereotypen geprüft. Über einen Gutachter wird berichtet, er fordere zum Ausziehen des Pullovers auf und werfe einem Bälle zu, um die Stimmigkeit der Auszieh- und Auffang-Motorik zu beurteilen. […] Kinder empfinden die Begutachtung als besonders übergriffig. Eltern berichten von den Schwierigkeiten, dem Kind zu vermitteln, dass es fremden Menschen intime Fragen beantworten muss, nachdem es seine Identität schon den Familienangehörigen und z.T. auch schon der Schule begreiflich gemacht hat und es nun nur noch darum geht, mit einem passenden Ausweisdokument eine Auslandsreise zu ermöglichen oder in einer nichtunterstützenden Schule die Verwendung des richtigen Vornamens und Pronomens zu erreichen. Es ist von Einzelfällen acht- oder sogar zwölfstündiger Gutachtersitzungen berichtet worden, die den Kindern zugemutet werden, wohl um die Ernsthaftigkeit des Wunsches nach einem TSG-Verfahren zu „testen“.“[18]
Ähnlich beschreibt Miriam Schmidt-Jüngst die Problematik der Begutachtung: „Ein weiteres Problem, das mit der Begutachtung einhergeht, ist die oft stereotype und strikt binäre Geschlechtsauffassung, die dem TSG und häufig auch den Gutachten zugrunde liegt; dies ist besonders ausgeprägt in Bezug auf Transweiblichkeit, die von Gutachter_innen sehr viel stärker in Frage gestellt wird als Transmännlichkeit (Lindemann 2011: 218). Durch dieses konservative Geschlechtsverständnis fühlen sich viele Transpersonen unter Druck gesetzt, ihr Geschlecht auf eine bestimmte Art darzustellen, um das erforderliche Gutachten zu bekommen.“[19]
Durch diese entwürdigenden Behandlungen fühlen sich viele den Gutachter*innen schutzlos ausgeliefert und erzählen aus Angst viel mehr intime Details sowie klischeehafte Erzählungen um das gewünschte positive Gutachten zu bekommen und die Gutachter*innen zu überzeugen. „Dieser Fakt entzieht der Person die Selbstbestimmung und überträgt eine gerichtliche Fremdbestimmung auf die Gutachter*innen (vgl. Adamietz; Remus 2015:5).“[20]
Dadurch sitzen die Gutachter*innen und Richter*innen in einer Machtposition und können diese ausnutzen. Dies wird auch als „Gatekeeping“ bezeichnet. „Entscheidungen über körperliche Angleichungsmaßnahmen werden von Instanzen der Krankenkassen (meist durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen/MdK) geprüft. Dabei wird oftmals eine Änderung des Vornamens- und Personenstandes vorausgesetzt oder zumindest erfragt. Bestimmte transitionsbedingte Leistungen sind an teils nicht absehbare Wartezeiten oder andere zuvor erfolgte medizinische und/oder therapeutische Behandlungen gebunden. […] Diese stetigen Kontrollen der eigenen Entscheidungen, das Gatekeeping seitens der Krankenkassen, Mediziner_innen und Therapeut_innen sowie normierende Regulationen der eigenen Identität werden von transgeschlechtlichen Menschen als belastend, grenzüberschreitend und mitunter auch als gesundheitsschädigend4 beschrieben.“[21]
Nicht nur deshalb fordern sowohl die Verbände wie die dgti, der BVT* oder der LSVD eine Abschaffung des Transsexuellengesetzes. Auch die Gutachter*innen selbst fordern dies, da durch die fast hundertprozentige Zahl von positiven Gutachten und der sehr geringen Zahl von Rückumwandlungen bzw. Detransitionen die Begutachtung obsolet geworden ist: „Am weitest-gehendsten sind die Vorschläge von Pfäfflin (2011) und Güldenring (2013), das Transsexuellengesetz in seiner jetzigen Form abzuschaffen. Nach Pfäfflin sollte es genügen, „dass sich ein Antragsteller beim Standesamt entsprechend erklärt, die Gebühren für diverse Umschreibungen
entrichtet und dann den gewünschten Personenstand erhält“ (ebd.: 62). Die Feststellung der Geschlechtsidentität unterliege dann der „subjektiven Selbstbestimmung“, das aufwendige Verfahren des Transsexuellengesetzes einschließlich der doppelten Begutachtung brauche man dann nicht mehr (ebd.). Im gleichen Sinne fordert Güldenring (2012: 172) „schwellenarme Voraussetzungen für eine Änderung von Vornamen und/ oder Personenstand“, durch die „die Fremdbegutachtung von Geschlecht als entscheidende Instanz gänzlich entfernt“ wird. Wir schließen uns der Forderung an, dass die Grundlage für eine Änderung von Vornamen und Personenstand das subjektive Geschlechtsempfinden des Antragstellers oder der Antragstellerin sein sollte und nicht eine gutachterlich zertifizierte Geschlechtsidentität.“[22]
Volkmar Sigusch, der zusammen mit Eberhard Schorsch das TSG im Vermittlungsausschuss zwischen Bundestag und Bundesrat in den Jahren 1973-1990 als hilfreiche und nötige Anerkennungs-möglichkeit für trans*Personen verteidigte, schrieb 2013 in einem Beitrag zur rechtspolitischen Situation von trans*Personen in der Zeitschrift für Sexualforschung: „Denn ich habe in dieser Zeitschrift vor 23 Jahren selbstkritische Plädoyers für die „Entpathologisierung“ und „Enttotalisierung“ der Transsexuellen gehalten, indem ich den „nosomorphen Blick“ der eigenen Berufsgruppe, der immer nur Krankes sieht, im Einzelnen kritisierte. Mein aus der damaligen Welt vollständig herausfallender und wohl auch deshalb weitgehend übersehener Wunsch war – ich zitiere wörtlich: „daß der Gesetzgeber allen (volljährigen) Menschen freistellt, über die eigenen Vornamen und die eigene Geschlechtszugehörigkeit selbst zu entscheiden – ohne Genehmigungs- und Gerichtsverfahren und ohne medizinische Behandlungen“ (Sigusch 1991: 337 und 1992a/1995a: 135 f.).“[23]
Diesem Wunsch, den auch die trans*Community seit langen hegt, ist im aktuellen Koalitionsvertrag der Bundesregierung endlich Rechnung getragen worden. „Das sogenannte Transsexuellengesetz, das von vielen trans Menschen als diskriminierend und demütigend empfunden wird, wollen die Koalitionäre durch ein Selbstbestimmungsgesetz ersetzen. Die Änderung des Geschlechtseintrags soll zukünftig beim Standesamt per Selbstauskunft möglich sein. Entsprechende Gesetzentwürfe hatten Grüne und FDP in der Vergangenheit wiederholt eingebracht, sie waren aber wiederholt an der Großen Koalition gescheitert.“[24]
Denn der ehemalige Gesetzgeber bzw. die CDU/CSU hielt wie das Bundesverfassungsgericht an der Begutachtungspflicht fest und fand die Entwürfe als zu weitgehend. „Für die Union sagte Bettina Wiesmann, die Gesetzentwürfe würden “weit über das Ziel hinausgehen”.“[25] Wörtlich sagte sie: „Eine Abschaffung jeglicher valider Bestätigung allerdings, die Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen und der FDP, in Ihren Gesetzentwürfen anstreben, lehnen wir ab und ich auch. […] Die Bescheinigung einer fachkundigen Begleitung würde dem meines Erachtens Genüge tun.“[26] Gegen die Abschaffung der Begutachtungspflicht wurde erfolglos geklagt. „Das Bundesverfassungsgericht hält den Gutachtenzwang allerdings als “objektiven Nachweis” der rechtlichen Voraussetzungen für verfassungsgemäß.“[27]
Dies wird durch das neue Gesetzgebungsverfahren dann Makulatur sein. Dass das TSG-Verfahren auch von der Trans*Community als unnötig angesehen wird, zeigt die Beantwortung der letzten Frage der vorliegenden Umfrage. Hier gaben ca. 75% an, das Verfahren als unnötig zu betrachten:
Daher ist es konsequent und nur folgerichtig, dass die aktuelle Bundesregierung endlich der Entschließung des Bundesrates zur Aufhebung des Transsexuellengesetzes sowie zur Erarbeitung eines Gesetzes zur Anerkennung der Geschlechtsidentität und zum Schutz der Selbstbestimmung bei der Geschlechterzuordnung folgt. Dieser Beschluss des Bundesrates ist von 2017 und fordert: „..daher die Bundesregierung auf, in einem nächsten Schritt darauf hinzuwirken, dass unverzüglich das TSG in Übereinstimmung mit den Ergebnissen der Gutachten aufgehoben und durch ein entsprechendes modernes Gesetz zur Anerkennung der Geschlechtsidentität und zum Schutz der Selbstbestimmung bei der Geschlechterzuordnung ersetzt wird. Dabei ist insbesondere die teure und unnötige Begutachtungspflicht vor einer Vornamens- beziehungsweise Personenstandsänderung sofort abzuschaffen und durch ein Verwaltungsverfahren zur Anerkennung der Geschlechtsidentität zu ersetzen.“[28]
[1] Wacker, Sandra: Schwangerschaft bei Männern mit Transitionshintergrund –
Rechtliche Rahmenbedingungen und deren subjektives Erleben am Fallbeispiel, Bachelorthesis HAW Hamburg, 21.11.2019, S.10. [Der Alltagstest ist Voraussetzung für geschlechtsangleichende Maßnahmen, nicht für eine Vornamens- und/oder Personenstandsänderung].
[2] Queer.de: Queerbeauftragter: Transsexuellengesetz soll bis Jahresende ersetzt werden, 23.3.2022, https://www.queer.de/detail.php?article_id=41511 (abgerufen am 27.3.2022).
[3] Adamietz, Laura: Rechtliche Anerkennung von Transgeschlechtlichkeit und Anti-Diskriminierung auf nationaler Ebene – Zur Situation in Deutschland, in: Gerhard Schreiber (Hrsg.): Transsexualität in Theologie und Neurowissenschaften. Ergebnisse, Kontroversen, Perspektiven, Berlin / Boston 2016, S. 360.
[4] Ewert, Felicia: Trans.Frau.Sein. Aspekte geschlechtlicher Marginalisierung, 2018, S. 147.
[5] Scheunemann, Kim: Expert_innen des Geschlechts? Zum Wissen über Inter*– und Trans*-Themen, Queer Studies 16, Bielefeld 2018, S. 102.
[6] Vgl.: Bundesministerium für Justiz/Bundesamt für Justiz: Gesetz über die Änderung der Vornamen und der Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen, 1981, https://www.gesetze-im-internet.de/tsg/index.html#BJNR016540980BJNE000901377 (abgerufen am 19.3.2022).
[7] Ewert, Felicia: Trans.Frau.Sein. Aspekte geschlechtlicher Marginalisierung, 2018, S. 149.
[8] Turner, Daniel /Briken, Peer / Nieder, Timo Ole: Geschlechtsinkongruenz, Geschlechtsdysphorie und Trans-Gesundheit, PSYCH up2date 14, 2020, S. 351.
[9] Rauchfleisch, Udo: Transsexualismus – Genderdysphorie – Geschlechtsinkongruenz – Transidentität. Der schwierige Weg der Entpathologisierung, Göttingen 2019, S. 37.
[10] Schmidt-Jüngst, Miriam: Namenwechsel. Die soziale Funktion von Vornamen im
Transitionsprozess transgeschlechtlicher Personen, in: Wolfgang Imo / Constanze Spieß (Hrsg.): Empirische Linguistik / Empirical Linguistics, Band 14, Berlin / Boston 2020, S. 250.
[11] https://www.youtube.com/watch?v=kCIrvE5_yLo (abgerufen am 19.3.2022).
[12] Adamietz, Laura / Bager, Katharina: Gutachten: Regelungs- und Reformbedarf für transgeschlechtliche Menschen. Begleitmaterial zur Interministeriellen Arbeitsgruppe Inter- & Transsexualität, Band 7, Berlin 2016, S. 10.
[13] Becker, Sophinette: Transsexualität – Geschlechtsidentitätsstörung, in:
Götz Kockott / Eva-Maria Fahrner (Hrsg.): Sexualstörungen, Stuttgart / New York 2004, S.195.
[14] Seikowski, Kurt: Die Problematik der Psychopathologisierung von Transsexualität, in: Schreiber, Gerhard (Hrsg.): Transsexualität in Theologie und Neurowissenschaften. Ergebnisse, Kontroversen, Perspektiven, Berlin / Boston 2016, S.303.
[15] Meyenburg, Bernd / Schmidt, Gunter / Renter-Schmidt, Karin: Begutachtung nach dem Transsexuellengesetz. Auswertung von Gutachten dreier Sachverständiger 2005-2014, Zeitschrift für Sexualforschung 28, 2015, S. 118.
[16] Bundesgerichtshof: Beschluss des XII. Zivilsenats vom 22.4.2020 – XII ZB 383/19, https://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=Aktuell&Sort=12288&nr=106062&pos=14&anz=412 (abgerufen am 19.3.2022).
[17] Adamietz, Laura / Bager, Katharina: Gutachten: Regelungs- und Reformbedarf für transgeschlechtliche Menschen. Begleitmaterial zur Interministeriellen Arbeitsgruppe Inter- & Transsexualität, Band 7, Berlin 2016, S. 11.
[18] Adamietz, Laura / Bager, Katharina: Gutachten: Regelungs- und Reformbedarf für transgeschlechtliche Menschen. Begleitmaterial zur Interministeriellen Arbeitsgruppe Inter- & Transsexualität, Band 7, Berlin 2016, S. 11f.
[19] Schmidt-Jüngst, Miriam: Namenwechsel. Die soziale Funktion von Vornamen im
Transitionsprozess transgeschlechtlicher Personen, in: Wolfgang Imo / Constanze Spieß (Hrsg.): Empirische Linguistik / Empirical Linguistics, Band 14, Berlin / Boston 2020, S. 249.
[20] Ewert, Felicia: Trans.Frau.Sein. Aspekte geschlechtlicher Marginalisierung, 2018, S. 149.
[21] Appenroth, Max Nicolai: Gesundheitsversorgung von transgeschlechtlichen Menschen, Regenbogenportal des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, https://www.regenbogenportal.de/informationen/gesundheitsversorgung-von-transgeschlechtlichen-menschen (abgerufen 19.3.2022).
[22] Meyenburg, Bernd / Schmidt, Gunter / Renter-Schmidt, Karin: Begutachtung nach dem Transsexuellengesetz. Auswertung von Gutachten dreier Sachverständiger 2005-2014, Zeitschrift für Sexualforschung 28, 2015, S. 118f.
[23] Sigusch, Volkmar: Liquid Gender, Zeitschrift für Sexualforschung 26, 2013, S. 185.
[24] Warnecke, Tilmann / Ferner, Christopher: Aus für das Transsexuellengesetz, neues Abstammungsrecht. Ampel will weitreichende Verbesserungen für queere Menschen, Tagesspiegel 24.11.2021, https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/queerspiegel/aus-fuer-das-transsexuellengesetz-neues-abstammungsrecht-ampel-will-weitreichende-verbesserungen-fuer-queere-menschen/27828982.html (abgerufen am 27.3.2022).
[25] Warnecke, Tilmann: Vorschläge abgelehnt. Selbstbestimmungsgesetz für trans Menschen gescheitert, Tagesspiegel 20.5.2021, https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/queerspiegel/vorschlaege-abgelehnt-selbstbestimmungsgesetz-fuer-trans-menschen-gescheitert/27206584.html (abgerufen 27.3.2022).
[26] Wiesmann, Bettina Margarethe: Eine Abschaffung jeglicher valider Bestätigung lehnen wir ab. Redebeitrag zum Transsexuellengesetz, 19.6.2020, https://www.cducsu.de/themen/familie-frauen-arbeit-gesundheit-und-soziales/bettina-margarethe-wiesmann-eine-abschaffung-jeglicher-valider-bestaetigung-lehnen-wir-ab (abgerufen am 27.3.2022).
[27] Markwald, Maya: Die Rechtsstellung von Trans*personen in Deutschland, Bundeszentrale für politische Bildung 2.6.2020, https://www.bpb.de/themen/gender-diversitaet/geschlechtliche-vielfalt-trans/308625/die-rechtsstellung-von-trans-personen-in-deutschland/ (abgerufen am 27.3.2022).
[28] BR-Drucks. 362/17, S. 2.
Stand März 2022